29. April 2025
Mein Sohn stand in der Küchentür, im Jogginganzug. „Na, Netflixtag?“ fragte ich, denn Jogginganzug bedeutet bei ihm eigentlich: Der Tag wird im Bett verbracht, während irgendwelche Serien durchgesuchtet werden. „Liv und ich gehen joggen.“ Ich fühlte mich in dem Moment wie meine Leser, wenn sie in den Kommentaren schreiben, dass sie vor Lachen den Kaffee ausgespuckt haben — und genau das tat ich auch. Eine elegante Fontäne frisch getrunkenen Kaffees dekorierte die Küche. „Du? Joggen?“ japste ich, während ich versuchte, mich auf dem rutschigen Küchenboden auf den Beinen zu halten. „Das letzte Mal bist du mit sieben gejoggt, als wir dir erzählt haben, dass bei uns im Wald Pokémon ausgewildert wurden.“ Er schaute finster. „War echt ’ne gemeine Nummer.“ „Und dann bist du vor der alten Frau weggelaufen, weil du dachtest, das sei die Hexe aus Hänsel und Gretel.“ „Die sah aber auch wirklich gruselig aus!“ verteidigte er sich, während er die Arme verschränkte, was im Jogginganzug ein bisschen so aussah, als würde er sich selbst in Frischhaltefolie wickeln. In diesem Moment betrat Liv die Küche. Schwarze Leggings, ein Shirt mit der Aufschrift „Schau mir auf den Arsch und ich trinke heute Abend Met aus deinem Schädel“, der Zopf so streng nach hinten gezogen, dass wahrscheinlich irgendwo in der Welt ein Faltenunterspritzer spontan seine Praxis schließen musste. „Na, bist du bereit?“ fragte sie meinen Sohn und klopfte ihm auf die Schulter. Dann sah sie mich an. „Kommst du mit?“ Ich hob die Augenbraue. „Seh ich so aus, als ob ich jogge?“ Sie grinste breit. „Stimmt auch wieder. Man soll alte Leute ja nicht so anstrengen.“ Alte Leute. Ich. ALT. Meine Ehre bekam keine Delle — sie wurde von einem Panzer überfahren, rückwärts, und dann nochmal vorwärts, für alle Fälle. „Ich bin gleich wieder da“, verkündete ich heroisch, stellte meinen Kaffee ab und stürmte ins Schlafzimmer. Kurze Zeit später trat ich wieder hervor: Sport-Tim — ein seltener Anblick, ungefähr so selten wie ein weißer Löwe oder ein Einhorn auf E-Roller. Meine Sportkleidung war... nun ja. Die Hose spannte derart, dass ich bei jeder Bewegung ein leises "Ich kapituliere" von den Nähten hörte. Das Oberteil saß so eng, dass man jede noch so kleine Bewegung meines Zwerchfells verfolgen konnte wie bei einem National Geographic-Spezial über Wildtiere in der Savanne. Liv blinzelte irritiert. Mein Sohn versuchte, nicht laut loszulachen, was zu einem seltsamen Würgegeräusch führte. „Bereit“, röchelte ich und versuchte, mein linkes Bein über die Schnürsenkel zu heben, was nur mit erheblichem Einsatz meiner Hüftgelenke gelang – die sich anschließend per sofortiger Dienstunfähigkeit krankmeldeten. „Ich mach mich nur noch schnell warm“, keuchte ich und versuchte, mich leicht zu dehnen. Ein Knacken. Ein Zerren. Eine Bewegung, die wahrscheinlich irgendwo ein seismisches Frühwarnsystem auslöste. Liv nickte anerkennend. „Respekt. So viel Mut muss man erst mal haben.“ Und so begann unser gemeinsames Joggingabenteuer — ich, der keuchende Elch, mein Sohn, der nur lief, damit Liv ihn nicht für einen Schwächling hielt, und Liv selbst, die locker nebenhertrippelte und zwischendurch vermutlich noch einen Einkaufszettel schrieb. Nach genau 800 Metern — und ich habe sie gezählt, mit der Präzision eines Marathonläufers, der jeden Schritt bis zur Zielgeraden verflucht — trat ich heldenhaft zur Seite. „Ich glaube, ich dehne hier mal die Gegend ein bisschen... Ihr lauft ruhig weiter.“ Mein Sohn grinste. Liv lachte. Und ich stand da, schwitzend, japsend, aber innerlich sehr stolz. Denn manchmal, da reicht es auch einfach, den inneren Schweinehund kurz zu streicheln — und ihn dann wieder auf die Couch zu schicken.